Sonntag, 26. April 2015

Was Tabaluga und den Krebs unterscheidet!



Der erste Therapieabschnitt ist geschafft, am 2. April hatte ich die letzte Chemo! Das ist jetzt drei Wochen her und ich hatte danach viele Untersuchungen, angefangen von endloser Blutabnehmerei, über den Kardiologen, die Mammographie, Thorax röntgen und Gespräche. Mein OP-Termin ist am 5.5.15 – wenn das kein Glücksdatum ist! Ich freue mich sehr auf diesen Tag und bin glücklich, dass dann Schritt II überstanden ist.



Die letzte Chemo hat es mir nochmal so richtig gezeigt! Aber – ich habe mich nicht unterkriegen lassen, ich habe mich gesträubt und es mir trotzdem schön gemacht. Es ist April und der Mai steht quasi schon vor der Tür, wer lässt sich da von Übelkeit und Kopfschmerzen, Schlappheit, Konzentrationsschwäche und Antriebslosigkeit unterkriegen, doch wohl keiner – und ich schon gar nicht (oder manchmal doch?), nein, ich bin damit durch!



Grübeleien, warum-wieso-weshalb, Zukunftsängste und was-hat-mir-das-jetzt-gebracht? gab es natürlich auch, und wenn ich ehrlich bin, ganz schön häufig. Dunkle und schwere Gedanken, sie kommen, aber sie gehen auch wieder. Ich geben diesen Gedanken Raum, aber nur eine ganz konkrete Zeit, sie beherrschen mich nicht, ich steuere meine Gedanken und lass sie kreativ werden, alles andere ist Mist!



Die neuesten Erkenntnisse der Forschung: Krebs ist nur Zufall, jeden kann es erwischen… Ja, das klingt gut – oder eben auch nicht. Ich bin überzeugt, dass sich in so einer Situation viele Menschen fragen, was dieser Schicksalsschlag, diese Krankheit oder was einem auch immer passiert, was das für den Einzelnen bedeutet. Eine Krebserkrankung bedeutet für jeden (den ich bisher gesprochen habe), dass sich die Tür zum Tod zumindest ein bisschen öffnet. Da ist eine Tür, die vorher noch nicht da war und sie steht ein kleines bisschen offen!



Keiner will diese Tür sehen, dahinter ist es schwarz und zwischen mir und der Tür stehen eine Unmenge von offenen Fragen und Wünschen.

Auf einmal ist das Leben endlich und es beginnt ein neuer Lebensabschnitt. Für mich ist es so, als ob ich ein zweites Mal erwachsen werde, sozusagen Pubertät mit 50!



Ich höre immer wieder Geschichten, wie, die Krankheit hat mein Leben verändert, dadurch habe ich erst zu mir selbst gefunden! Bestimmt ist es so oder ähnlich. Fakt ist, dass die Menschen sich durch die schicksalhafte oder zufällige (das will ich mal dahingestellt sein lassen) Lebensveränderung selbst verändern, sich in Frage stellen und ihr Lebenskonzept neu beschließen oder es überhaupt erst erstellen.



Ich für mich merke, dass ich leichter geworden bin (und hiermit meine ich nicht mein Gewicht, wobei ich tatsächlich 5 kg abgenommen habe). Nein, leichter geworden in dem Sinne, dass ich meinen vergangenen Ballast abwerfe, das ist ein großer Prozess, der größte wahrscheinlich.



Ein halbes Jahr nach der Diagnose bin ich Ende Dezember mit Sina und Jona in eine kleinere Wohnung umgezogen. Dafür habe ich etwa 500 Bücher aussortiert (warum brauche ich Bücher übers Mittelalter?), ich habe sie entsorgt, weggeben, verschenkt und teilweise (die schönen Kinderbücher) in Kartons verpackt und auch die meisten davon weggeben… 




Nun steht ein winzig kleiner Rest in meinem neuen Zimmer. In dem Regal ist jetzt sogar Platz für meine Ordner und natürlich für neue und aktuelle Bücher. Ich werde sie nicht mehr sammeln, ich lese sie und gebe sie weiter. Ein bisschen Lieblingsliteratur hebe ich auf, manchmal macht es Spaß, da seine Nase nochmal reinzustecken und sich zu inspirieren. Wie beispielsweise „Die 7 Wege zur Effektivität“ – mein absolutes Lieblingsbuch!




 
Wohingegen dieses hier sich nur versehentlich in mein Regal verirrt haben kann:


(wahrscheinlich von Nico, meins ist es definitiv nicht!).




Außerdem habe ich dreiviertel meines Kleiderschrankes aussortiert und zu Oxfam gefahren. Darüber hinaus habe ich meine Kisten und Kästchen ausgeleert, Erinnerungen, Briefe, Zettelchen, Zeitungsausschnitte, etc. Diese Sammlungen, die sich wahrscheinlich in jedem Haushalt in größerer oder kleinerer Menge befinden, habe ich erbarmungslos reduziert.

Diese ganze Altlastenverwertung spiegelt nur den äußeren Prozess wider, der innere ist ähnlich… Auch hier sortiere ich aus und bringe die Gedanken sinnbildlich zum „Wertstoffhof“.



Dieses Ausmisten kann natürlich auch ohne einen konkreten Anlass stattfinden, dazu ist bestimmt keine Krankheit notwendig, aber sie ist eben ein guter Anlass.



Man kann sein Leben jeden Tag verändern, dazu bedarf es nur einer Entscheidung. Wird keine Entscheidung getroffen, ergibt sich häufig eine Zwangsentscheidung, das Leben, Schicksal, Universum, Krebs, unsere Entscheidungslosigkeit, wer auch immer… zwingt uns dazu. Viellicht hätte man dem zuvor kommen können, vielleicht nicht.



Wichtig ist nur, dass wir diesen Prozess regelmäßig angehen und keinesfalls nur so vor uns hinleben, dann dafür ist die Lebenszeit definitiv zu kostbar!  Jeder Tag kann ein Entscheidungstag sein, wir entscheiden, was wir denken und wie wir handeln und entscheiden damit auch, welche Konsequenzen das für uns hat. Was auch immer passiert, ich habe die Möglichkeit eine Entscheidung zu treffen, und wenn ich mich nicht entscheide, ist auch dies eine Entscheidung, ich tue nichts, also bleibt alles so wie es ist. Oder ich wähle eine aus 1 Million Möglichkeiten und nehme mein Leben in die Hand.



Ich habe ausgemistet und ich bin teilweise immer noch dabei. Deshalb fühle ich mich leichter und ich habe viel über Entscheidungen und Verantwortung nachgedacht. Für meine Entscheidungen bin ich verantwortlich und ich trage die Konsequenzen. Und genau das bedeutet es, erwachsen zu werden.



Ich fühle mich groß, ich fühle mich leicht und ich fühle mich unbeschwert! Ich bin unglaublich glücklich dabei und das trotz dieser schwierigen und nervigen Krebskrankheit! Es ist nicht so, dass ich bisher keine Entscheidungen getroffen habe, aber ich gehe das Leben jetzt noch viel bewusster an.



Und was hat jetzt das Ganze mit Tagaluga zu tun? Peter Maffay hat 1983 (da war ich 19) ein Lied gesungen, in dem es um das Erwachsenwerden ging. Die alte weise Schildkröte Nessaja erzählt dem kleinen Drachen Tabaluga ihre Geschichte und warum sie nie erwachsen werden wollte… das Lied kam mir vor ein paar Tagen in den Sinn und wie das so mit Musik ist, weckt sie alte Erinnerungen:

Hier ist der Songtext.



Allerdings bin ich weder eine alte Schildkröte, noch ein junger Drache, viel eher bin ich ein Elch! Und Elche sind Herdentiere mit einer wunderbaren Herde und ein stattlicher Rudelführerelch, wie ich einer bin, der darf ruhig zweimal erwachsen werden. 




Diesmal ist dieser Prozess ein anderer, ich werde nicht erwachsen, weil ich kein Kind mehr bin, sondern ich entscheide, wie ich lebe und ich kann dabei täglich die Glückseligkeit eines Kindes in mir tragen – wie schön ist das!

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