Mittwoch, 1. April 2015

Angst, die Zukunft und das Reisen



Heute war ein Angsttag. Und ich muss leider sagen, dass es nicht leicht ist, darüber zu reden. Aber heute war auch ein Tag, an dem wir lange über die Zukunft gesprochen haben.

Aber ich beginne mit der Angst:  Wir beschwichtigen, wir verdrängen und wir denken selbstverständlich positiv. Quasi als Selbstverpflichtung. Angst haben, bedeutet schwach zu sein und Angst aussprechen, sie ans Tageslicht holen, ist eigentlich undenkbar. Denn wenn wir über die Angst reden, dann reden wir auch über das, wovor wir uns so furchtbar fürchten.

Ich weiß seit sieben Monaten, dass ich Brustkrebs habe. Die Diagnose bekam ich, fast auf den Tag genau, drei Wochen vor Sinas 20. Geburtstag. Das ist jetzt sieben Monate her und seit sieben Monaten ist die Angst unser ständiger Begleiter. Die Angst ist etwas sehr Persönliches, sie ist nicht nur ein Gefühl, nein, sie ist ein Teil von uns, der uns sehr genau kennt. Und in manchen Situationen spricht sie sogar mit uns, sie weiß auch, dass sie sich mit sehr leiser Stimme Gehör verschaffen kann. Sie ist niemals laut, sie muss auch nicht viel sagen, sie schleicht sich einfach in unsere Gedanken. Sie zeigt sich nur, wenn wir alleine sind, wenn es dunkel wird und wenn sie weiß, dass wir ihr nicht entkommen können. Sie ist hinterhältig und heimtückisch, wie eine gemeine Hexe aus dem Märchen. Und sie ist bösartig und klebrig, wie ein altes Kaugummi, das man nicht mehr von seinen Schuhen kratzen kann, denn sie verfolgt uns auf Schritt und Tritt.
  
Heute Morgen habe ich mit Michaela telefoniert, ich kenne sie aus der Chemo-Praxis und sie hat gerade ihren Wiederaufbau in München machen lassen. Es hat mich fast ein bisschen erleichtert, dass nicht nur ich so paranoid bin, denn bei ihr ist es genauso. Wir haben uns die tupfen gleiche Geschichte erzählt: Ich hatte letzte Woche Kopfschmerzen, ganz normale Kopfschmerzen, wie sie jeder hat. Und doch war gleich wieder diese Angststimme  zur Stelle, sehr leise, aber penetrant: „Vielleicht sind es ja Hirn-Metastasen!“ Ich habe das natürlich sofort korrigiert, „neeeiiin, es sind ganz normale Kopfschmerzen, warum sollte das etwas anderes sein!“ Aber der Gedanke ist da, sofort verdrängt und auch nicht zuende gedacht, aber er ist da. Einmal gedacht, kann man ihn weit wegschieben, aber nicht mehr eliminieren!

Ja, und diese Gedanken gibt es leider, und je nach Situation kommen sie dann auch wieder: Was ist, wenn der Krebs wiederkommt? Was ist, wenn es Metastasen gibt, was ist, wenn er streut, was ist, wenn die Chemo nicht wirkt? Was ist, wenn…. Ach es gibt viele solcher Was-ist-Varianten und meine Angststimme kann die auch ganz wunderbar kombinieren.

Und ich bin nicht alleine, die Angst begnügt sich nämlich nicht, nur mich zu attackieren, sie bewegt sich blitzschnell auch innerhalb der Familie und schlüpft in jedes Zimmer. Bei Sina ist sie besonders gern und darüber haben wir heute gesprochen. Man kann nicht jeden Tag gleich mutig und positiv gestimmt sein. Bei 7° und Regenwetter, Wind und dazu noch dunkelgrauen Dauerregenwolken, da weiß man schon beim Aufstehen, dass der schwere traurige Klumpen im Bauch nicht weggehen wird.

Sina geht es oft nicht gut, wie sollte es auch. Ihre Mama hat Krebs und sie sieht, wie ich leide. Sie sieht meine Tapferkeit, sie sieht aber auch, wie fertig ich bin. Gerade die dritte Chemo setzt mir diesmal arge zu, meine Augen tränen seit drei Wochen, ich habe aufgequollene Augen, die zarte Haut darunter ist ziemlich malträtiert, ich wische ja auch ständig herum. Meine Augencreme versagt und ich schmiere mittlerweile die Bepanthen Augen- und Nasensalbe in und um die Augen, dass hilft zumindest für den Moment. Aber, na ja, wörtliches Zitat: „Mama, du siehst schlimm aus, und es bricht mir das Herz, dich so zu sehen!“ Ich quieke tapfer zurück: „Ach neee, geht schon!“ Ich will so gerne stark sein, aber das hier braucht wirklich kein Mensch, wirklich nicht, der Krebs nervt langsam sehr!

So kommen wir ins Gespräch und ich kann Sina so gut verstehen. Sie sollte sich eigentlich mit sich beschäftigen, ihre eigene Zukunft sollte im Mittelpunkt stehen und ich sollte ihr Fels in der Brandung sein. Das ist nämlich meine wirkliche Aufgabe, und nicht der Sch…-Krebs!

Wenn man jung ist, sollte man seine Möglichkeiten und Begabungen nutzen, in die Welt ziehen und gucken, wo es einen hintreibt, herausfinden wer man ist und was man möchte. Die Zeit zwischen 20 und 30 ist so einmalig, die Welt steht einen im ganzen Umfang offen und das Reisen ist unglaublich wichtig. Jeder junge Mensch sollte die Chance nutzen und sich unsere Erde ansehen. Menschen kennenlernen, sich kennenlernen, unabhängig und ungebunden sein. Eine Zeit neue Länder und Städte erleben, dort wohnen, andere Sprachen lernen und Abstand gewinnen. Abstand von der Familie, vom eigenen Ich, vom eigenen Land und der Stadt, in der man lebt. Nur wer wirklich weg war, kann Gewohnheiten ändern und eine neue Lebensphilosophie mitbringen.

Was gibt es Schöneres auf der Welt, als zu verreisen?! Und es gibt auch nichts, was die Angst besser vertreibt, als den Koffer zu packen und dem Alltag den Rücken zu kehren! 

Sina hat vor einem Monat einen Flug nach Thailand gebucht und der Rucksack steht schon halb gepackt in ihrem Zimmer. Morgen fährt sie nach Amsterdam und verabschiedet sich von ihren Freunden.
 
  
Am Samstag feiern wir meinen 51. Geburtstag und am Montag geht’s los für sie. Ich hoffe, dass ich morgen meine letzte Chemo habe (heute waren die Blutwerte noch nicht so) und dann ist auch dieser Abschnitt fast zu Ende. Ich bin so glücklich, dass Sina die Zeit zwischen Chemo-Ende und Bestrahlung nochmal verreist. 
Miteinander reden ist wichtig, nachdem wir uns so viel erzählt haben, unsere Angstgefühle mal nicht geleugnet haben, sieht die Welt wieder freundlicher aus. Die Angst ist natürlich nicht verschwunden, aber sie ist nicht mehr so präsent und das ist gut so. Richtig stark sein kann man nur, wenn man seine schwachen Momente zulässt!







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